History
Die 1985 geschlossene Schweizerische Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren (SWS) war eines der bedeutendsten Unternehmen für die Entwicklung der modernen Mobilität in der Schweiz. Mit ihren technischen Innovationen und hochwertigen Produkten prägte sie den öffentlichen Verkehr entscheidend mit. Wir nehmen dich mit auf eine Zeitreise durch die Geschichte dieses einstigen Industriepioniers.
1895 - 1900
Am
14. März 1895 reichte Johan Caspar Geissberger dem Gemeinderat
Schlieren ein Kaufgesuch für rund 39´600 Quadratmeter Land ein. Bereits
am 18. Mai des gleichen Jahres wurde der Kaufvertrag abgeschlossen und
der Spatenstich erfolgte. Das Areal grenzte an das Trasse der damaligen
Nordostbahn. Auf diesem Grundstück baute Geissberger grosszügig
konzipierte Werkstätten.
Die
Firma Geissberger & Cie beabsichtigte einerseits die Produktion von
Luxus- und Lastwagen, Schlitten sowie die Verfeinerung von Wagenräder
in Schlieren auf eine breitere Basis zu stellen. Am 01. Oktober 1896
wurde die bisherige Einzelfirma in eine Kommanditgesellschaft
umgewandelt. Ihr gehörten nebst J.C Geissberger auch seine zwei Söhne
Caspar und Robert an.
Zusätzlich
stiegen die Kommanditäre Julius Schwarzenbach und Konrad Jenny mit
einer Kommanditeinlage von je 100´000 Schweizer Franken in das
Unternehmen ein. Mit der Erweiterung und Ausgestaltung des Betriebes
ging die Umwandlung der bisherigen Kommanditgesellschaft in eine
Aktiengesellschaft Hand in Hand. An jenem Donnerstag den 29. November
1899, nachmittags 14:30 Uhr, fand im Hotel Baur au Lac in Zürich die
konstituierende Generalversammlung der Geissberger & Cie statt. Die
Eintragung der damals neuen Aktiengesellschaft im Handelsregister
erfolgte am 19. Dezember 1899.
1901 - 1920
Im Jahre 1901 wurde der von Geissberger & Cie. übernommene Teil der Luxus Pferdefuhrwerke in Schlieren definitiv eingestellt und der Fokus galt nun dem Bau von Schienenfahrzeugen. Ein neuer Geschäftszweig, der einerseits durch den Bau einer grösseren Zahl von elektrischen Schmalspurbahnen, sowie auch die Umstellung der damaligen stadtzürcherischen Strassenbahn auf elektrischen Betrieb, sehr lukrativ wurde.
Aus diesem Grund erfolgte 1901 die weitere Umbenennung in Schweizerische Wagonsfabrik A.G Schlieren. Die Konzentration auf den Wagonbau und die damit verbundene Umstellung im Fabrikationsprogramm führten auch zu einer Veränderung in der seit der Gründung massgeblichen Zusammensetzung der Persönlichkeiten. Es ist der Zeitpunkt wo sich die Wirksamkeit eines Mannes abzuzeichnete, der fortan die Geschichte des Unternehmens massgebend prägte: Des Direktors Josef Koch.
Nach stetig steigenden Bestellungen und Auslieferungen an Strassenbahnunternehmen und die damals noch aufgegliederten Schweizer Bahnunternehmungen, bestellte 1903 die neugegründete Schweizerische Bundesbahn SBB je 12 dreiachsige Personenwagen 2. und 3. Klasse in Schlieren. Diese erste Bestellung der Bundesbahnen löste auch einen sprunghaft ansteigenden Bestelleingang aus. So wurde auch die Bautätigkeit im Werk Schlieren weiter vorangetrieben. Im Jahre 1906 verliess ein SBB C3ü als eintausendster Eisenbahnwagen das Werk in Schlieren. 1906 kam es auch zum ersten Streik des noch jungen Unternehmens. Die Holzarbeiter legten am 24.Februar 1906 kurz nach dem Zahltag ihre Arbeit für sechs Wochen nieder.
Bereits jetzt bestellten auch ausländische Bahngesellschaften erste Schienenfahrzeuge bei SCHLIEREN. So konnten erste vierachsige Wagen für die Orientalischen Bahnen nach Konstantinopel geliefert werden und später für die Bern-Lötschberg-Simplon Bahn. Noch in der Zeit des ersten Weltkrieges übernahm SCHLIEREN das Aufzugsgeschäft der damaligen Aufzüge- und Räderfabrik Seebach AG (ARSAG). Zwischen 1918 und 1919 gelang den Ingenieuren in Schlieren unter der Leitung von Flugpionier Adolf Schaedler die Planung und die Realisierung der SWS C-1 welche erstmals auch der Einstieg in den Flugzeugbau in Schlieren war.
1921 - 1940
Im Jahre 1924 rüstete SCHLIEREN als erste Firma in Europa ihre Aufzüge mit sogenannten Treibscheibenantrieben aus. Diese Technik wurde kurz zuvor in den USA entwickelt. Dank einer Lizenzvereinbarung, konnte damals diese Technik im europäischen Raum bei uns weiterentwickelt werden. 1928 wurde in einer Versammlung die erneute Umbezeichnung des Unternehmens beschlossen. Mit dieser Änderung wurde dem neuen Kerngeschäft, dem Aufzugsbau eine feste Stellung in unserem Unternehmen einberufen. So wurde 1928 die Firmenbezeichnung zu Schweizerische Wagons- und Aufzügefabrik AG Schlieren - Zürich vollzogen.
Die Jahre 1929 - 1930 brachten Vollbeschäftigung. Der ständig steigende Umsatz erforderte den Ausbau unserer Werkstätten in Schlieren und den technischen Büros. Ebenfalls im Jahre 1930 gelingt unseren Entwicklern im Aufzugbau eine Weltneuheit. Die erste Aufzugsteuerung welche mit Gleichstrom läuft. Diese Entwicklung verschaffte SCHLIEREN internationales Ansehen.
Die von SCHLIEREN massgeblich entwickelte Leichtstahlbauart für Reisezugwagen, galt rasch als wegweisende Entwicklung im Wagonbau. Es entstand ein Prototyp-Leichstahlwagen, welcher ab 1937 serienmässig an die SBB und weitere Privatbahnen abgeliefert wurde. In die Jahre 1936 - 38 fallen besonders gewichtig der erste Lizenzbauauftrag aus Deutschland für eine Rolltreppe nach Holland.
Es sollte der Grundstein sein, für das dritte Kerngeschäft unseres Unternehmens in einer späteren Phase. Im Jahre 1937 lieferten wir den höchsten Aufzug der Welt auf das Jungfraujoch / Sphinx. Mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges 1939 setze aber langsam auch die erste Krise ein. Konkurrenz und die schwankende Auftragslage setzten auch der SWS in den folgenden Jahren zu. Dennoch deckte SCHLIEREN zusammen mit der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft (SIG) in Neuhausen am Rheinfall praktisch die gesamte Nachfrage an Eisenbahnwagen im Inland ab.
1941 - 1960
In den ersten Nachkriegsjahren folgte ein weiterer Meilenstein. Durch einen Zusammenarbeitsvertrag zwischen den Indischen Staatsbahnen und der Konzernleitung von SCHLIEREN konnte 1949 unter der damaligen Technischen Leitung von "Heinrich Saxer König" ein Grossauftrag in Indien realisiert werden. Unser Unternehmen war massgeblich an der Projektierung und der Umsetzung einer neuen Wagonfabrik in Perambur (Indien) beteiligt. 1955 konnte schlussendlich die Intergral Coach Factory ICF ihren Betrieb in Indien aufnehmen. Die indischen Staatsbahnen bestellten im Vorfeld rund 200 Reisezugwagen auf Leichtstahlbasis welche in Schlieren gefertigt wurden.
Mittlerweile beschäftigte unser Unternehmen rund 2000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Werk. Kerngeschäfte blieben nach wie vor der Bau von Schienenfahrzeugen, Aufbauten für Aufzugsanlagen, sowie die Komponenten-fertigung im Flugzeugbau. 1952 bringen wir den Variotron Antrieb für Aufzüge auf den Markt. Es handelte sich um den ersten elektronisch regulierten Aufzug der Welt. Dieses System beschleunigte und verzögerte den Lauf des Aufzugs stufenlos und kontrollierte die Geschwindigkeit nach einem genau vorgeschriebenen Programm.
In einem von den SBB im Jahre 1954 unter den Wagonsbaufirmen der Schweiz veranstalteten Wettbewerb galt es, das Bewährteste und das Vorteilhafteste der bisherigen Wagentypen in einem neu zu schaffenden Wagen zu vereinen und eine Konstruktion zu finden, die eine Serienfabrikation technisch einwandfrei durchführbar und preislich günstig werden liess. SWS und SIG bekamen als die Gewinner dieses Wettbewerbes im Februar 1955 den Auftrag zur Herstellung von je zwei Prototypen, und innert Jahresfrist konnten die beiden Wagen, welche unter dem Namen Einheitswagen l bekannt wurden, geschaffen werden.
Im Jahre 1955 wurde schliesslich das Lochkartenverfahren für das interne Rechnungswesen eingeführt, 1956 erfolgte nun die Bekanntgabe, dass die Pars -Finanz AG (Schindler Konzern) 30% des Aktienkapitals kauft. Im Jahre 1957 vollbrachte die Abteilung Aufzugbau mit dem Bau des neuen Monotron-Antriebs für Aufzugsanlagen erneut eine technische Höchstleistung. Der erste Gelenktrolleybus der Schweiz wurde im Jahre 1956 zusammen mit BBC und FBW in Schlieren massgeblich entwickelt und an die Verkehrsbetriebe Winterthur und Zürich abgeliefert. Es war für die Konstrukteure damals ein namhafter Erfolg, gestattete der Trolleybus doch eine bessere Dienstzeiteinteilung und damit für das Personal günstigere Freizeitverhältnisse. In Schlieren wurden die Testreihen sowie die ganze wagenbauliche Entwicklung massgeblich vorangetrieben.
In die Jahre 1957 - 1958 fallen zwei gewichtige Fabrikationen. 1957 liefert SCHLIEREN erstmals die Monotron-Aufzugssteuerung. Monotron konnte als ein Marktstein des Aufzugbaus betrachtet werden. Gleichzeitig handelte es sich um einen ersten Erfolg gemeinsamer Forschung von Schindler / SCHLIEREN. Noch auf Basis Variotron gelang den Ingenieuren in Schlieren 1958 wohl der grösste Coup im internationalen Aufzugsgeschäft. Wir konnten uns gegen Mitstreiter unter anderem OTIS durchsetzen und erhielten den Zuschlag für einen Personen- Schnellaufzug für das Atomium in Brüssel, welches zur Weltaustellung 58 gebaut wurde. Bereits ein Jahr später nämlich 1959 bringen wir die Aconic Steuerung für Aufzugsanlagen auf den Markt. Ein System mit Halbleitertechnik und ohne bewegliche Teile.
1961 -1970
Die im Aufzugs- und Wagonbau ebenfalls etablierte Schindler übernahm nur 4 Jahre später 1960 das Unternehmen. Als fortan eigenständige Konzerngesellschaft der Schindler-Gruppe wurde der Standort Schlieren trotz der inbetriebnahme des neuen Standorts der Schindler Aufzüge AG in Ebikon LU, beibehalten. Die Sparte Aufzugsbau wurde aber insbesondere in der Forschung weiter an die Schindler Gruppe angegliedert. Als nunmehr einheitliches Unternehmen deckten Schlieren und Schindler weit über 50% des Marktanteils ab.
1961 bringt SCHLIEREN dann den Econom Aufzug auf den Markt. Der Aufzug war ein Serie-Fabrikat mit dem Stempel der Einzelanfertigung. In allen Teilen genormt und vorfabriziert, repräsentierte dieser Aufzug den damals letzten Stand der technischen Entwicklung. Zugleich vereinigte er alles in sich, was im Aufzugsbau längst als tausendfach bewährt galt. Die Herstellung in Serien erlaubte nicht nur kürzeste Lieferfristen; sie wirkte sich vor allem in der Preisgestaltung äusserst günstig aus. Mit einer zweckmässigen Normung wurde die Möglichkeit geschaffen, die Fabrikationszahlen zu erhöhen, die Fertigungszeiten zu senken und die Lagerhaltung zu vereinfachen.
Am Automobilsalon Genf im Jahre 1963 wird zum ersten Mal eine SCHLIEREN Hebebock Anlage für Strassen- und Schienenfahrzeuge der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Hebeböcke kamen bereits viele Jahre vorher im eigenen Werk in Schlieren als Eigenbedarf zum Einsatz. Durch eine Studie wurden diese erstmals als Serienfabrikation für den Markt gezeigt. 1964 konnte die Abteilung Flugzeugbau einen grossen Lizenzauftrag entgegennehmen. Die Schweizer Luftwaffe bestellte ihre neuen Kampjets vom Typ Mirage lll/RS. In Schlieren wurden folglich Rumpf- und Flügelteile für die Mirage hergestellt.
1971 - 1985
Im Jahr 1970 erweiterte die SWS ihr Produktionsspektrum und fertigte erstmals einen Reflektor zur Sonnenforschung für die ETH Zürich. Drei Jahre später, 1973, entstand in Zusammenarbeit mit der Schindler-Tochter Von Roll Förderanlagen AG die erste dreidimensionale Förderanlage. Dieses Projekt legte den Grundstein für eine bedeutende Produkterweiterung. Die Nachfrage nach Förderanlagen stieg in dieser Zeit stark an und führte zu einem hohen Auftragseingang bei den beteiligten Fabrikationsfirmen.
Ebenfalls 1973 unterzeichnete die SWS einen Vertrag mit der EUROFIMA über den Bau von 63 Schlafwagen des Typs T2S für verschiedene europäische Staatsbahnen. Unser Unternehmen war federführend in der Entwicklung und im Bau dieses Wagentyps. Das „S“ in der Typenbezeichnung steht dabei für Schlieren.
Am 16. Mai 1983 gab der Verwaltungsrat der Schindler Holding offiziell bekannt, dass das Werk in Schlieren nach der Produktion von über 14'000 Güter- und Personenwagen geschlossen werden sollte. Die Mitarbeitenden, die Stadt Schlieren und der Kanton Zürich wollten diesen Entscheid aus Ebikon zunächst nicht akzeptieren. Auf den Strassen und in der Politik wurde heftig gegen die Schliessung protestiert. Das Schweizer Fernsehen widmete dem Thema sogar eine eigene Dokumentarsendung, und der Kanton Zürich drohte dem Schindler-Konzern mit dem Entzug laufender Aufträge.
Schliesslich einigten sich die Stadt Schlieren, der Kanton Zürich und Schindler auf die Vereinbarung zur „Offenen Planung SWS“. Ziel war es, das Werksareal so zu nutzen, dass in verschiedenen Branchen und neuen Betrieben nahezu gleich viele Arbeitsplätze entstehen wie zuvor. Im Rahmen dieser Vereinbarung stellte die Schindler Holding rund 20 Millionen Schweizer Franken zur Verfügung. Am 31. August 1985 wurde die „Wagi“ unter massivem Protest der Belegschaft und der Bevölkerung endgültig geschlossen.
2016 - 2025
Der Verein WAGI Schlieren wurde 2016 gegründet, 31 Jahre nach der Schliessung der SWS. Ziel des Vereins ist die Bewahrung und Vermittlung des historischen Erbes der ehemaligen Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren. Ausgangspunkt bildete eine kleine Sammlung, die nach der Betriebsschliessung erhalten geblieben ist.
2017 initiierte Patrick Bigler die Planung eines ersten Museums auf dem ehemaligen Werksgelände. In Zusammenarbeit mit der Stadt Schlieren und der Arealbesitzerin, der Gewerbe- und Handelszentrum GHZ AG, konnte im September 2017 an der Wagistrasse 13 das erste Museum eröffnet werden. Die Ausstellung zeigte eine Auswahl historischer Exponate, Dokumente und Fotografien aus der Geschichte der Fabrik.
In den folgenden zwei Jahren wuchs die Sammlung stetig, und auch die Besucherzahlen nahmen zu. Aufgrund des begrenzten Platzangebots erhielt der Verein Ende 2019 das Angebot, in das ehemalige Kesselhaus der SWS an der Wagistrasse 15 umzuziehen. Dank der Unterstützung durch die GHZ AG und der Stadt Schlieren – die den Verein seither mit einem jährlichen Betriebsbeitrag unterstützt – konnte das grössere Gebäude angemietet und zum neuen Museumsstandort umgebaut werden.
Seit 2020 befindet sich das Museum im östlichen Teil des früheren Fabrikareals, in der ehemaligen Heiz- und Energiezentrale der SWS. Das Gebäude wurde 1960 um ein Kesselhaus erweitert und diente bis zur Betriebsschliessung 1985 der Energieversorgung des Werkareals. Auf einer Ausstellungsfläche von rund 800 m² präsentiert das Museum heute eine umfassende Sammlung zur Geschichte der SWS, ihrer Produkte und ihrer Mitarbeitenden. Nach der Übernahme des Gebäudes wurde es zunächst äusserlich saniert und anschliessend für den Museumsbetrieb umgebaut. Viele Arbeiten wurden ehrenamtlich durch Vereinsmitglieder ausgeführt.
Zu den besonderen Exponaten zählen unter anderem der Küchenbereich eines ehemaligen MITROPA-Saalwagens der Rhätischen Bahn (RhB) sowie der Tessiner-Triebwagen ABe 4/4 5, der durch das Museum vor der Verschrottung gerettet wurde. Letzterer steht heute vor dem Museumsgebäude und dient als „Visitenkarte“ des Museums.
Trägerin des Museums ist der Verein WAGI Schlieren, der sich durch Mitgliederbeiträge, Spenden, freiwillige Arbeitseinsätze und die Unterstützung der Stadt Schlieren finanziert. Neben der Dauerausstellung organisiert der Verein Sonderausstellungen, Führungen und Veranstaltungen zur Industriegeschichte der Region.


